Gedanken und Notizen

Der Vajra und sein Schatten im Märchen


Über den Namen

Ich nenne die Strukur Stülp, weil sie eben in ihrer Mitte umstülpt. Dabei hatte ich eigentlich das englische Wort the warp im Kopf, was eleganter klingt.

"Stülpen" hat sich aber im Familiensprachgebrauch eingebürgert. Wenn jemand bei uns einen Film angeschaut hat, verkündet er oder sie mir nachher: "Der Film stülpt" wenn er oder sie die Struktur darin wiederentdeckt hat.

Märchenglobus ist zwar anschaulich, ich bin aber nicht glücklich mit dem Ausdruck, weil "Märchen" immer noch den Ruch des Unwirklichen, Wunschhaften trägt. Dabei ist die Struktur realer als sonst irgendwas.

Eigentlich sollte es : Der Vajra des Westens  heißen.
Analog zu dem Vajra=Donnerkeil, der im tibetischen Buddhismus als Symbol des Geistes gebraucht wird. Aber dann muss ich sich sozusagen erst die Erklärung erklären, was dieser Vajra ist und wie man das Wort ausspricht und so weiter.

 

Interdisziplinäres Niemandsland

Die Volkshochschule sagt, das Thema sei zu schwierig, die Seminarhäuser, es sei zu wenig "Wellness" drin.

Ich versuche also wieder, jemanden an der Universität für die Arbeit zu interessieren. Fast ein Semester im Voraus habe ich einen Termin bei einem Religionswissenschaftler ausgemacht, mit der Bitte um etwas Zeit zum Erklären.

Als der Tag naht, werde ich um zwei Stunden vertröstet, an deren Ende mir 10 Minuten bleiben. Ich sitze schon in seinem Zimmer, als der Professor am Telefon versucht, für sich selbst bei einem Symposium mehr als 20 Minuten Redezeit herauszuhandeln. "...bei dem Thema..." Es geht ihm also genauso.

An meiner Arbeit ist er interessiert, sehr freundlich. Ich soll ihm doch bitte ein Exzerpt liefern, das er in einer halben Stunde bewältigen kann...die Verwaltungsarbeit...die vielen Studenten... Ich sage, ich will es probieren.

Der Hochschulbetrieb ist einfach verrückt. Wie soll denn bei einer solchen Hetzerei überhaupt sowas wie interdisziplinäre Arbeit möglich sein? Wie soll sich irgendjemand auf ein Gebiet einlassen können, das ihn zumindest teilweise ganz neu ist?

Dieses Darwin-Konzept der Bildungspolitik: Je mehr Druck und Konkurrenz, desto besser arbeiten die Leute. ha. Die ganz grossen Think-Tanks haben schon lange begriffen, daß man den Leuten ein Zimmer geben muß, Freiheit und Ruhe um Nachzudenken.

Postscriptum

Inzwischen bin ich bei den Münchener Ethnologen ein wenig heimisch geworden. Obgleich strukturale Analysen derzeit zumindest in Europa nicht mehr gemacht werden  - man musste doch von Lévi-Strauss wegkommen - , ist dort doch eine Vertrautheit mit solchen Ansätzen vorhanden.

 

 

Kramerladen (zeitweise geöffnet)

Dies sind Fragmente.
Die Leiche liegt herum und die Absperrbänder flattern: Achtung Blogfetzen.
Die Spurensicherung läuft herum und klaubt die Hinweise zusammen, aber es hilft nichts. Alles was sie finden ist eine Gedichtzeile von Ingeborg Bachmannn: "Mit meinem Mörder Zeit bin ich allein."

 

19.4.2013


Draußen ist es grau und kalt und innen grummelt es im Darm. Die kleinen Boten rennen durch die Membranen und in den Körperzellen rum und fauchen sich an, entsprechend Schwierigkeiten hat das Hirn fröhlich zu sein. Eine Szene aus dem Lincoln-Film kommt mir in den Sinn: Der Präsident reitet langsam über das Schlachtfeld. Ich möchte jetzt ein Schauspieler sein, der eine Leiche spielt: Ich liege ganz still und hab nichts weiter zu tun als grausig auszusehen, in einer dreckigen Uniform und mit einer großen Ladung Ketchup auf der Weste regungslos in den verhangenen Himmel zu starren.

CUT!!! Dann stehe ich auf kriege vom Catering eine Schale fantastisch scharfer Suppe und reisse mit den anderen Statisten Witze.

 

14.4.2013

Eine Woche kein Eintrag. Ich hatte einen vorbereitet und zwar den:

 Der Zug steht im Bahnhof Pasing. Am anderen Bahnsteig sehe ich einen Mann hüpfen. Ich sehe ihn von hinten in einiger Entfernung: Sehr kurze Haare, breite Schultern, die Hände in einem guten schwarzen Wollmantel vergraben, er springt elastisch und regelmäßig ziemlich hoch. Das ist kein Hüpfen wegen kalten Füssen, was hüpft der da? So eine Erscheinung ist normalerweise weder exzentrisch noch besoffen. Mein Zug fährt an. Der Mann, denke ich, macht etwas Kindliches wegen einem Kind, er macht einem Kind was vor. Der Zug fährt ganz langsam, der Blickwinkel verschiebt sich. Bingo: Hinter einem Automaten kommt das Kind in Sicht, etwa vier Jahre alt. Es steht vor dem Mann und schaut auf seine Füße. Der springt ein Kreuz: Füsse auseinander, Füße mitte, rechter vor, linker hinter und wieder beide in die Mitte, es schaut nicht lächerlich aus, wie er das macht, eher spielerisch athletisch. Das Kind stellt sich parallel neben ihn um mitzumachen. Der Zug passiert die beiden, ich hab den Mann richtig auf etwa 35 Jahre geschätzt.

Und dann schaue ich auf die Uhr: 12.45; Freitag. Scheidungsvater sein Umgangsrecht wahrnehmend. Vermutlich.

Inzwischen scheint ja die Sonne. Ich paddle wieder auf dem See und finde zwei Biberbaue, die man jetzt, bevor die Blätter austreiben, im Ufergebüsch gut erkennt. Die Kerle vermehren sich lustig.

Hab einige Zeit vertan, mich über einen schlechten Lokalkrimi aufzuregen. Die Autorin ist Tierschützerin und hat beim Jagdverband recherchiert. das Ergebnis ist entsprechend verquer. Was kommt dabei heraus, wenn der Jagdverband eine Tierschützerin für seine Zwecke instrumentalisiert? Sie streicheln die Tiere tot und die bösen Förster hassen die Rehlein.

 

31.3.2013 Ostersonntag

Es schneit und schneit. Neulich in der Früh schau ich zum Fenster raus, die Sonne geht rot und kalt hinter den kahlen Bäumen auf und plötzlich grausts mir. So schaut er also aus, der Klimawandel. Ja, ja weiß schon, auch wieder bloß ein Extrem.

Also zur Aufheiterung ein Fundstück aus der Zeitung, das ich beim Einschüren  noch rausgefischt hab: Heiratsanzeige:

Einsamer Wolf (Akad.) sucht Engel mit starken Flügeln, Schreibblockaden zu lösen, ein einzigartiges Thema zu nicht minderem Welterfolg zu begleiten und dessen Rampenllicht nicht zu scheuen.

Nur nicht schüchtern Mädels! Falls es irgendeiner zu gut geht, hier das todsichere Rezept für die totale Rundumausbeutung.

 

25.3.2013 

Die letzte Woche war ich auf Ritriet (deutsche Schreibweise). Das Angenehme dort ist, dass man schweigt, was einen wunderbar entspannenden Effekt hat: Man muss sich unter den Leuten mit keiner Silbe selbst darstellen – und sei es auch auf die noch so bescheidene Weise, irgendwie nagelt man ja doch eine soziale Identität zusammen. Diese ganze Konstruktion erübrigt sich im Schweigen weitgehend.

Im Abschlussgespräch sagte der Leiter dann: „Ich glaube wir sind uns einig, dass durch das Schweigen viel Unheilsames nicht geschehen ist.“ Die ganze Runde lachte zustimmend.

In diesem Sinne gibt’s zu dem Retreat nix zu sagen.

 

17.3.2013

 

Diesem Eintrag möchte ich ein Zitat von Richard von Gigantikow, dem Schöpfer des Lügenmuseums voranstellen:

„Wenn Sie dieses lesen sind Sie zweifach gesegnet:

Erstens. Sie können lesen.

Zweitens, jemand hat an Sie gedacht.“

Nun habe ich keine Ahnung, ob jemand hier diesen zweifachen Segen abholt. Wenn ja, möchte ich einen dritten hinzufügen: Ich werde sie oder ihn (Beachten Sie die politische Correctness) mit dem Lügenmuseum bekannt machen.

Es ist in Radebeul, und ich habe selten soviel lautlos gelacht wie dort. Es ist voller wilder Artefakte, die aus diversen Schau- und anderen Kästen, Werkzeugen, Glasscherben, Devotionalien, Federn usw. verfertigt wurden, und die bewegt und erleuchtet werden durch winzige Motoren, Lichtlein und Ventilatoren und was sonst noch überraschendes Leben in dieses Labyrinth bringt. Irgendwann sitzt man einfach in einem Stuhl und wartet selig wie ein Kind, dass irgendein Kofferdeckel von innen aufgeblasen wird oder ein Kastendeckel gerade genug aufgeht, um eine Ahnung von glitzerndem Innenleben preiszugeben.

Nicht umsonst ist Richard von Gigantikow Nationaltherapeut und Hirnchirurg, der mit bewußtseinerweiternden Küchenmaschinen arbeitet – so seine Selbstauskunft.

Zuletzt hier die Beschreibung meines Lieblingsobjekts: Man stelle sich einen kleinen goldenen Vogelkäfig vor mit der Aufschrift: „Turnvater Jahn.“ Am Käfiggitter turnen kleine Plastikpüppchen – solche, an denen man Arme und Beine drehen kann -, und es sieht aus wie Übungen an einer Sprossenwand, wenn nicht, ja wenn nicht in dem Käfig ein Kauz säße. Er ist aus braunem Glas, und unheilvoll leuchtet er von innen, vor allem aus den Augen, während um ihn herum Beinchen und Ärmchen solcher Püppchen liegen, offensichtlich die Überreste seiner gräßlichen Mahlzeiten. Nun scheint es als ob diese Püppchen verzweifelt am Gitter kleben, um diesem grausamen Kauz zu entkommen.

Wer jemals den Sportunterricht hasste, hier ist das Kunstwerk, das ihn rächt.

 

10.3.2013

Meine Tante wird ins Altersheim umziehen. Sie hat noch eine Bibliothek von etwa 800 Bänden, Hinterlassenschaften meiner Großeltern auch, Fotos und so weiter und so fort. Wir sortieren die Bücher, Bavarica, Theologie, Tacitus, Ovid, Aristoteles, ein Buch mit gotischen Texten – meine Güte, ich wußte nicht, dass mein Großvater das lesen konnte - ein hebräisches Neues Testament etc., dazwischen vergilbte Zeitungssausschnitte, Notizen in Gabelsberger Stenographie. Meine Tante sitzt da, zerbrechlich, neunzig Jahre jetzt, im Gedächtnis Jahreszahlen, Personen, das Netz, das alle diese Dinge noch zusammenhält, und ich habe einen Zipfel davon, die Erinnerung an die Großeltern, ihr kleines Reihenhaus als Alterssitz, die Atmosphäre, die sie umgab, die Hüter noch von so etwas wie „Abendland“; auch mein Hirn ist ein Archiv, wenn auch weit löchriger. Wehmut befällt mich und Unschlüssigkeit. Wie will ich sterben? Was wird bleiben? Ich sehe, wie die Nachkommen die Erinnerungen mittragen und jeder Ortswechsel und jeder Tod an ihnen zehrt, wie sie einen Wirbel von Fotographien, Büchern und Briefen, Notizzetteln und Postkarten hinter sich herziehen wie einen Komentenschweif, der verglüht, weil keiner mehr Gotisch kann oder Gabelsberger oder die Häuser auf den Fotos erkennt.

Und ich frage mich: Was bleibt letztlich einigermaßen lang und nützlich? Ich denke an die Memoiren meiner Urgroßvaters, ein schmales Büchlein, vorne der Stammbaum, knappe Schilderung der Lebensumstände und Charakter der Verwandten; ich denke an Mamas „I remember“, die Anekdoten, die sie aufgeschrieben hat, und die ich nun mit ihrer Hilfe einem Stammbaum zuordne. Das ist das Skelett, das der Schamane braucht, um das Wesen wieder zum Leben zu erwecken durch seinen Gesang, wenn dann und wann doch wieder ein Vers oder eine Strophe aus dem Komentenschweif heruntertrudelt und den Nachkommen auf die Schwelle segelt.

 

1.3.2013

Der Winter ist dermassen grau...
Zeitungsausträger gibts hier auch keine mehr, also auch keine Zeitung zum einsamen Frühstück. Ich sitz da mit meiner Tasse Kaffee, schau auf die Schneeklumpen, die noch im Hollerbaum hängen, und ein Tolkien-artiges Gejammer stolpert im Hirn rum: "For many a good thing has gone and joys have crumbled away under the rising tide of darkness..."
Schon schaut der Tag besser aus. Das ist der Trost der Literatur.

Dann, am Nachmittag in Garmisch, kommen wir an zwei Buben vorbei, etwa 12 Jahre alt, die sitzen vor einem Cafe zwischen den dreckigen nassen Schneehaufen und essen Schokoladeeis. "Mir essen den Winter weg, machts aa mit", fordern sie die Passanten auf. Nach Eis war mir so gar nicht zumut, aber trotzdem oder grad deswegen hoffe ich, dass die zwei Helden den Frühling bald herfressen.

 

28.2.2013

Schon lange spielte ich mit dem Gedanken, diesen verstaubten Mercedes meiner Website aus seiner Garage zu fahren und das Blog: Volkskundliches aus Bayern und den angrenzenden Gebieten zumindest vorübergehend hier einzurichten.

Da schlug das Schicksal zu: Beim Einschüren fiel mir in einer bereits dem Feuer geweihten Zeitung die Meldung auf:
Das Gomphoterium von Gweng wurde zum Fossil des Jahres 2013 gewählt.
Das Gomphoterium von Gweng! Der Klang des Namens!

Sie haben es im seichten Wasser des Inn gefunden, halb im Steilhang eingegraben. Und behaupten nun, es sei eine Art vorsintflutlicher Elefant gewesen. Wen wollen sie mit diesem angeblichen Plastikabguß des Skeletts narren, den sie in der bayerischen Staatssammlung für Paläontologie aufgebaut haben, während die Gutachter über den wahren geheimnisvollen Resten brüten? Lachhaft!
Das Gomphoterium von Gweng beweist, dass Bayern entweder der Scheibenwelt angehört oder als Anhalter durch die Galaxis unterwegs ist.
Das Gomphoterium von Gweng. Wieviel Beine hatte es, wenn überhaupt welche? Hinterließ es eine Schleimspur, die im Dunklen leuchtete? Hatte es Stielaugen? Konnte es hellsehen?
Ich glaube, es hatte die erstaunliche Gabe zu wissen, an wen man seine Bücher ausgeliehen hat. Nun ja. Vielleicht sind ja sonst noch irgendwelche Wissensfragmente über das Gomphoterium in unserem kollektiven Unbewußten vergraben Aber da dieser Mercedes von Website reichlich verstaubt ist, kann man hier nicht direkt kommentieren, sondern muss Kommentare bzw weitere Vorschläge über das Kontaktformular schicken